Zum Text Jak 5, 7-8
Liebe Schwestern und Brüder,
heute ist der zweite Advent.
Versetzen wir uns zurück in die Kindheit, dann erinnern wir uns an die Ungeduld des Wartens auf den Heiligabend. Wann ist es endlich soweit? Wie lange noch?
Die Erwachsenen ließen sich einiges einfallen, um den Kindern die Wartezeit zu versüßen: der evangelische Pfarrer Johann Hinrich Wichern erfand den Adventskranz, zunächst mit Kerzen für jeden Tag, dann entwickelte sich daraus unser heutiger Kranz mit den 4 Kerzen. Und den Adventskalender erfand laut Legende eine evangelische Pfarrfrau für ihren kleinen Sohn Gerhard. Sie bastelte 24 kleine Papierschächtelchen und legte in jede ein Plätzchen hinein.
Advent heißt Warten. Voll Sehnsucht und Vorfreude warten wir, bereiten uns vor auf die Erfüllung der Verheißung. Wir müssen uns in Geduld üben, das Gute, das kommen wird, ist uns aber gewiss.
In diesem Jahr spüren wir die Sehnsucht und die Ungeduld besonders stark. Denn wir warten auf noch mehr. Wir warten darauf, dass die Zeiten wieder sicherer werden, dass wir unsere Omas und Opas wiedersehen können, dass wir uns wieder unbeschwert in ein Konzert setzen können, dass unser Alltag wieder selbstverständlicher wird. Dieses Warten hat aber nicht die Gewissheit des Advent. Die Vorfreude ist getrübt, denn wir wissen nicht, wie lange wir warten werden und wir wissen auch nicht, worauf wir da genau warten. Auf den Impfstoff? Auf das Ende der Pandemie? Wie wird es aussehen, wenn e vorbei ist? Oder wird es nie richtig vorbei sein?
Geduld empfiehlt der Jakobusbrief. „Seid geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe“.
„Seht auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht!“, fordert das Evangelium uns auf. „Seht euch die Bäume an, wie sie ausschlagen! Im Sommer werden sie in voller Blüte stehen.“ Der Barbarazweig in meiner Vase gibt mir bald einen Vorgeschmack davon.
Was ist das für eine Art von Geduld, von der Jakobus da spricht? …. Ich denke zunächst an die Geduld, die ich aufbringen muss, wenn ich im Stau stehe oder in der Warteschlange vor der Kasse. Ich wechsel vom einen Bein auf das andere, beobachte genau, wieviele Waren der andere im Korb hat und wie schnell oder langsam die Kassiererin arbeitet. Bin ungeduldig und fühle mich ausgebremst, bin auf jeden Fall nicht bei mir selbst.
Jakobus vergleicht die Geduld mit dem Warten des Bauern auf dem Felde. 90 % seiner damaligen Adressaten hatten mit dem Ackerbau zu tun, anders als wir heute waren die Menschen alle darauf angewiesen, ihre Nahrung selbst anzubauen. Und so sagte ihnen dieser Vergleich des Jakobus viel. Sie wussten, dass das Warten des Bauern kein untätiges Herumsitzen und in – der – Sonne – Tee – schlürfen ist, sondern vielmehr eine Art „aktives Warten“. Während der Bauer wartet, erledigt er viele andere nützliche Dinge, bereitet sich gut vor und nach. Die Geduld, die Jakobus meint, kann man auch mit „Zähigkeit“ oder „Ausdauer“ übersetzen.
Der Bauer ist geduldig und unermüdlich. Und er ist weise. Denn er kennt den Kreislauf des Lebens aus Werden und Vergehen und ordnet sich ein in dieses große Ganze. Er weiß, dass er ein Teil des Ganzen ist. Und das er manche Dinge nicht in der Hand hat, andere hingegen schon. Sein Zutun ist entscheidend, aber manches ist gegeben.
Zu dieser Geduld gibt es eine Geschichte, die uns erläutert, warum diese Weisheit und Geduld so wichtig ist und was Ungeduld in diesem Fall bewirken würde:
Ein Bauer wollte, dass seine Keimlinge schnell wachsen. Eine ganze Woche lang beobachtete er die Keimlinge erwartungsvoll. Er war sehr enttäuscht, als er sah, dass es Tag für Tag kaum einen Unterschied gab. Der Bauer wurde von dem langsamen Fortschritt verwirrt und versuchte, Wege zu finden, um schnellere Ergebnisse zu erzielen.
Eines Tages kam er auf die Idee, den Keimlingen ein wenig zu helfen und an ihnen zu schnellerem Wachstum zu ziehen. Er war sehr aufgeregt über diesen Plan und früh am nächsten Morgen rannte er auf das Feld.
Der Bauer zog die Keimlinge ein Stückchen aus der Erde, einen nach dem anderen. Er arbeitete sehr fleißig und war ganz glücklich, als er sah, dass sie mit dieser Hilfe in der Tat größer aussahen.
Als er bei Einbruch der Nacht nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau und seinem Sohn: „Ich bin wirklich erschöpft heute, aber es hat sich gelohnt! Ich half all diesen Keimlingen heute schneller zu wachsen.“
Als er das hörte, rannte sein überraschter Sohn sofort auf das Feld, um es selbst zu sehen. Doch was er sah, war nur, dass alle Keimlinge welkten und abstarben. Der ungeduldige Bauer hatte sie alle an den Wurzeln beschädigt, Ungeduld führt nicht zum Ziel.
„Seid geduldig und stärkt eure Herzen“, sagt Jakobus auch zu uns heute.
Heutzutage ist das stärker denn je ein Thema. Das Warten und die Geduld fallen uns zusehends schwerer. Denn oftmals können wir das Warten vermeiden. Wir streamen, wann immer wir wollen, wir überholen mit 200 Sachen, wenn uns einer zu lahm ist, wir zahlen für Express und Prime, damit wir nicht warten müssen, wir shoppen sonntags und nachts außerhalb jeglicher Öffnungszeiten im Internet. Geduld ist nicht mehr üblich. Unerhört, dass die dritte Kasse nicht geöffnet wird! Unerhört, die lahme Kröte, die auf der linken Spur fährt. Unerhört, dass es hier noch kein schnelleres Internet gibt. Wir haben keine Zeit, weg da, aus dem Weg!
Gerade auch zu uns, die wir heute hier stehen, mit unserem ganzen Leben in Frage gestellt und ins Schleudern geraten, sagt Jakobus: „seid geduldig und stärkt eure Herzen!“
Und wir erinnern uns an die vielen Dinge, die unser Herz stärken. Tu dir Gutes, nutze diesen Advent, um die Dinge zu tun, die dein Herz stärken. Nimm dir Zeit dafür.
Und natürlich will Jakobus uns auch den Weg ebnen zu dem, der unser Herz einzigartig stärken kann und will: zu Gott. Lies die Weihnachtsgeschichte ganz bewusst, vielleicht in kleinen Abschnitten, dieses Jahr, und stell deine Krippe vielleicht stückchenweise parallel dazu auf. Genieße die Botschaft, lass dir jede Woche von einer anderen Szene oder Figur der Geschichte die frohe Botschaft nahebringen. Es wird dein Herz stärken. Du wirst darin Weisungen für dich und ein Leben entdecken.
Seid geduldig, nicht wie in der Warteschlange, sondern so wie der Bauer. Nutzt die Zeit zu einem aktiven Warten, stärkt euer Herz, macht euch bewusst, was ihr selbst in der Hand habt, was euer Zutun sein kann, und gebt an Gott ab, was ihr nicht in der Hand habt. Bittet ihn um seinen Segen. Denn eines ist gewiss: Heiligabend fällt nicht aus. Es wird anders, aber das Entscheidende, was wir in dieser Nacht eigentlich feiern, nämlich dass Gott Mensch wird, das wird nicht abgesagt.
So warten wir gemeinsam. Und bleiben in Verbindung.
Amen.